… Warum mich die Suche nach ständigem Glück unglücklich macht!
„Glück ist machbar“ – „Glück kann jeder lernen“ – „Jeder hat einen Anspruch auf Glück“ – Wer nicht glücklich ist, ist selbst schuld“ – „Think like a Winner“ …
Wenn ich so etwas lese, fallen mir immer wieder die Worte von Max Liebermann ein:
„Ich kann nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.“ – beim Betrachten des Fackelzugs zu Adolf Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933 zitiert nach Bernd Küster: Max Liebermann – ein Malerleben.
Das war nicht immer so.
Meine Bücherregale sind voll von Ratgebern, die mir Glück, noch mehr Selbstvertrauen (daran mangelt es mir wahrlich nicht) und das ich für mein Glück einfach nur positiv denken müsste, versprechen.
Eigentlich dürfte es gar keine unglücklichen Menschen geben. Doch die Zahl derer, die das Glück in ihrem Leben nicht zu fassen bekommen, nimmt zu: Immer Menschen scheinen eine latente Unzufriedenheit zu spüren. Welche Mitverantwortung an dieser Entwicklung kommt wohl den modernen Glückspredigern zu?
Wie ich heute darauf komme? Ich habe gestern nach längerer Zeit einen sehr guten Freund getroffen. Unser gemeinsamer Austausch war in der Vergangenheit immer mal wieder „herausfordernd“ für uns beide. Umso mehr schätze ich ihn. Seine Intelligenz, seine kritische Art mit MIR umzugehen. Und seine Fähigkeit, meinen Geist bewegen zu können.
Nach unseren gemeinsamen Stunden musste ich immer wieder nachdenken. Darüber nachdenken, was ich wirklich brauche, um auch in den Zeiten, in denen mein „Lebensschiff“ auf hoher und vor allem rauer See fährt und der Kapitän meines Schiffes alle Hände voll zu tun hat, gut durch unsichere Gewässer zu gleiten.
Vor allem weiß ich, was ich nicht brauche. Nicht die 20. Auflage von glückversprechenden Ratgebern. Oder wieder ein Seminar, bei dem mir irgendein „Guru“ Erfüllung und Glück verheißt, wenn ich nur richtig „meditiere“.
BULLSHIT.
Ich habe nichts gegen Achtsamkeitsmeditation. Im Gegenteil. Die Herausforderung einer wirklichen Achtsamkeitsübung besteht für mich darin, das jede Erfahrung, so wie sie ist, präsent sein darf, statt meine Empfindungen sofort verändern zu wollen oder sie dazu zu zwingen, anders zu sein, als sie sind. Dazu brauche ich aber kein „1.500 €-„Ab morgen bin ich ein besser Mensch“-Seminar“.
Über Jahre, in Wahrheit sogar viele Jahre, hatte ich mich in einem „Zug ohne Fenster“ befunden. Äußerlich schien in meinem Fall alles gut zu sein. Ich hatte keine bezifferbaren Sorgen. Fand mich weder allein, noch materiell verarmt, weder augenscheinlich krank, noch vom Leben verlassen. Allein im Inneren fühlte ich mich ständig unruhig. Ich flüchtete. Jeden Tag. Wie? Durch Kompensation: erst Essen, dann Wein, Kaufen , Sport , Sauna. Ich war ständig auf der Suche. Aber nach was? Glück? Innere Zufriedenheit? Meine Alltagsmaschine lief auf vollen Touren und produzierte innere Leere.
Doch dann, dank eines einzigen Menschen (das war und ist ein ganz besonderes Tattoo wert 🙂 ), noch dazu eines Menschen, dem ich davor noch nie begegnet bin, traten die entscheidenden Zweifel ins Licht. Keine Stimmungsaufheller, kein Seminar, kein Buch. Nur ein WIR. Mein eigenes Selbst ist von der mir auferlegten Blindheit befreit worden. Neue gangbare Wege zu sehen, wo zuvor sämtliche Ausgänge und Fenster in die Zukunft verstopft schienen. Das ist es, was ich erleben durfte und immer noch erleben kann.
Meine Leben verläuft auch heute nicht ohne Tiefs. Das ewige Glück gibt es nicht. Die immer fortwährende Suche danach machte mich noch unglücklicher, weil ich ständig nach diesem „Zustand“ strebte. Mir nicht zu erlauben traurig und verletzt zu sein. Mir zu verbieten Wut, Sehnsucht und Unvollkommenheit zu fühlen. Das ist Selbstkasteiung par excellence.
Unsere Falle besteht darin, das wir uns – ermutigt und unterstützt von einer Milliarden-Industrie und selbsternannten Glücksbotschaftern – das Glück wünschen könnten, wie beispielsweise einen neuen Flat-TV oder Glück kaufen könnten über – sagen wir – eine neue teure Kamera.
„Geh und kauf dir was Schönes!“ Wir konsumieren, wenn wir nicht arbeiten. Arbeit und Konsum haben lange mein Leben – mein „Glück“ – bestimmt. Wer erschöpft ist (emotional erschöpft), geht shoppen und kauft „Glücksratgeber“. Ja, das war so. Ich mag gar nicht daran denken, wie viele „Weltreisen“ das gekostet hat. Alter Schwede – ich glaube, ich hätte davon die ganze Welt bereisen können. Hätte!!!
Mein Leben besteht auch aktuell nicht nur aus positiven Glücksmomenten. Zu meinem Leben gehören leidvolle Gefühle wie Traurigkeit und Sehnsucht. Verlust und Misserfolg. MEIN Glück hat keine rosarote Brille auf. Es registriert meine Realität, so wie ich sie empfinde. Und nicht so, wie ich sie mir „schön“ denken müsste.
Mein Glücksempfinden ist nicht nur verbunden mit einem permanenten Hochgefühl, einem ständig schönen Schwebezustand, sondern mit etwas sehr viel wertvollerem: mit der Gewissheit, dass ich mich nicht vor den Wechselfällen meines Lebens fürchten muss. Mein Empfinden für Glück und Zufriedenheit ist ein Kontrasterlebnis. Es stellt sich immer dann ein, wenn ich scheinbar „Schlimmes“ durchlebt habe, wenn ich daran wachsen konnte. Aber erst DANACH.
Oft zeigt sich mir Glück auch unverhofft, einfach so, in glücklichen Augenblicken. Auf keinen Fall aber kann ich es gezielt auf Abruf halten, wie es uns die eine oder andere Glücksbotschaft und das eine oder andere Seminar suggerieren will.
Zum Abschluss meiner Gedanken zur „Tyrannei des Glücks“ möchte ich an Sigmund Freud, dem Begründer der Psychoanalyse, erinnern: „Was im strengsten Sinn Glück heißt, entspringt eher der plötzlichen Befriedigung emotionaler Bedürfnisse und ist seiner Natur nach nur als ein episodisches Phänomen möglich. … Wir sind so eingerichtet, dass wir nur durch den Kontrast intensiv genießen können.“ Na dann bin ja beruhigt. 😉
Für mich gibt es nur einen verlässlichen Weg zum Glück: meine Selbstakteptanz. Die Stimme meines „inneren Kritikers“ wird dann leiser. Ich gehe freundlicher mit mir um, und die Kluft zwischen meinem Selbstbild und dem „Idealbild“ wird zunehmend kleiner. „So bin ich. Und das ist gut so.“ Und das ist nicht jeden Tag gleich leicht. 🙂
Eine Prise Anderssein tut uns allen gut!!!
<3
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Liebste Astrid,
wieder mal ein sehr schöner Artikel. Hach ich mag dein Schreibstil so sehr, der einen einfach mit reißt….
Zum Thema, ich sehe das ähnlich wie du. Ich muss zwar sagen das ich heutzutage viel viel glücklicher bin als früher, allerdings wäre ich das wohl heute auch nicht wenn ich mein „früher“ nicht erlebt hätte. Was bedeutet ich glaube ich bin mit sehr wenig schon glücklich oder mich machen Kleinigkeiten total glücklich, die andere vielleicht nicht mal sehen….weißt du was ich meine?
Und auch geht es mir so wie dir, ich bin nicht immer glücklich, auch habe ich traurige Momente (lasse Tränen zu), bin manchmal wütend oder gereizt oder was auch immer….ABER es hält immer nur kurz an…während ich früher mein Leben permanent wie von einem dunklen Schleier belegt lebte, lebe ich es heute im Licht, bei dem des öfteren mal ein kräftiger Regenschauer oder auch mal ein Gewitter oder ein heftiger Sturm vorbei kommt.
Während ich früher vor meinen Emotionen geflüchtet bin (vorrangig den negativen, aber ich habe es sogar geschafft vor meinen positiven Emotionen zu flüchten!!! Ob es noch so jemanden wie mich gibt? ) LEBE ich sie heute und nehme sie an….und das hat mir irgendwie das Glück gebracht….ich bin nicht mehr auf der Jagd nach dem (endlosen) Glück, wie früher….ich LEBE und LEBEN bedeutet für mich nun mal nicht immer nur Eitel-Sonnenschein, sondern auch fühlen mit allen Facetten….
Ich drücke dich, Jen
Liebe Jen,
ich weiß sooo sehr, was Du meinst. Du hast es wundervoll beschrieben. Dein dunkler Schleier ist mein Zug ohne Fenster. Ja, und heute darfs auch stürmen und gewittern. Zumindest bin ich heute in der Lage dazu, es zu spüren. OHNE Kompensation … Willkommen im Leben. So Scheisse ;-)) es auch manchmal ist – so schön ist es auch!! <3 <3