… und über meine „Liebe“ zum Marathon als „50-Shades-of-Grey-Opfer“
Laufen hat wohl manchmal auch was mit SM zu tun.
Aufrichtig über das Laufen und aufrichtig über mich zu schreiben, ist nahezu das Gleiche.
Ich bin nicht schnell. Mein Körper setzt mir da klare Grenzen. 10 km schaffe ich kaum unter 55 Minuten und meinen besten Halbmarathon lief ich in 02:03 Stunden – seit Jahren konstant, eher mehr. Im besten Alter.
… Und dann gibt es diese besonderen Tage, an denen ich mich anders fühle. Irgendwie mutiger und dankbar. Gestern war so ein Tag.
Gegen Mittag bei 37 Grad machte ich mich auf den Weg zum kleinen Stadion im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark. Laufend natürlich. Bis dorthin sind es ja schon mal mehr als 3 km. Dort angekommen, trank ich erstmal „Wasser aus Wand“ in der Mädchen-Toilette. Ich hatte das Gefühl, dass ich vortrinken müsste. Ich wollte mindestens 1 ½ Stunden im Kreis laufen – ohne Schatten. Gottseidank – ich war nicht allein. Allein mit diesem verrückten Vorhaben.
Immer wieder musste ich leicht schmunzelnd an den Film „50-Shades-of-Grey“ denken. Irgendwie lies mich der Gedanke nicht los, dass das schon etwas mit SM zu tun haben könnte.
Ich wusste, mein nun folgendes Lauftraining in der vollen Mittagssonne auf einer 400m-Bahn, bringt allemal mehr Schmerz, Blut und innere Widerstände, als die cineastische Kuschelpeitsche.
Dominanzgelüste kennzeichnen ja angeblich unsichere Menschen. Aber manchmal macht es mir dennoch Spaß, meine charakterliche „Schwäche“ auszuleben. Dazu brauche ich einfach einen langsameren Mitläufer. Und das war gestern dann auch zwischendurch immer mal wieder ein Geschenk für mich. Endlich war ich bei dieser Hitze auch mal „vorn“.
Ich lief wie in Trance durch die Mittagshitze Runde um Runde. Ich spürte irgendwann eine leichte Hysterie meines Körpers. So langsam fühlte ich Schweißsalz in meine leichten Risse der Haut eindringen. Diese ziehe ich mir immer mal durch unachtsames Streunen durch die Natur mit meinem Hund zu.
Die gute Nachricht: Man kann sich an das Brennen gewöhnen. Die schlechte Nachricht: Die nächsten zwei Wochen soll es so heiß bleiben.
Ich bin mal ganz grundsätzlich nicht „multitaskingfähig“. Entweder laufe ich oder ich erzähle. Das konnte ich noch nie gut. Egal bei welcher Geschwindigkeit. Meine Tochter lästert dann immer gern, ich wäre in einem langsamen „Kommunikationstempo“ nicht in der Lage zu sprechen. Nein – bin nicht. Finde ich einfach anstrengend.
Außer gestern …
Mein wirklich „lecker“ aussehender Mitläufer (durchtrainierte Läuferfigur, leicht gebräunte Haut, kurze graumelierte sehr gepflegte Haare, 49 Jahre und sehr nett anzusehende Tattoos – ich mag gute Tattoos) fing ein Gespräch mit mir an – nach dem er mich das dritte Mal überrundete. Anerkennend nickend sagte er, dass ich einen guten Laufstil hätte. „Blödmann“, dachte ich. Ich zog im Tempo deutlich und fühlbar an, um mit ihm mithalten zu können.
„Wir“ sprachen (er deutlich mehr) über die Leichtigkeit des Laufend (ha, ha), Marathonfinish-Zeiten (nochmal ha, ha), über … Ich hab´s vergessen.
Irgendwann fragte er mich, ob es mir zu anstrengend sei, nebenbei ein bisschen zu „plaudern“. „Nein, nein – alles toll“, sagte ich völlig außer Atmen und prustend.
Ich muss nochmal erwähnen: knapp 40 Grad im Schatten und mein äußerst attraktiver Mitläufer neben mir. Das sind so Momente, in denen es einfach überschätzt wird, auf seinen Körper zu hören. Bullshit, dachte ich. Ich hielt gnadenlos sein Tempo.
Nach einer gefühlten Ewigkeit sagte er dann zu mir: „Ich mach mal weiter. Wir sehen uns am Ende. Freu mich drauf!“
… „Wir sehen uns am Ende“ … – so fühlte ich mich jetzt schon. „Am Ende!“
Nach weit mehr als 1 ½ Stunden „Kreislaufen“ machten wir uns auf den Heimweg. Und nach fast 3 Stunden kam ich überglücklich und schweißgebadet nach Hause.
Meine Selbstüberwindung war wieder eine großartige Erfahrung. „Geht doch“, dachte ich fröhlich und beklatschte mein furioses Finish. Objektiv habe ich nichts Großes vollbracht. Subjektiv aber hatte ich einen Triumph erlebt, den Sieg über mich und die Hitze. Stolz. Ich weiß, dass ich kann, wenn ich will.
In dieser Euphorie machte ich mich sofort und mit Sonnenbrille (besser ist es), ohne Pause und ohne Dusche in Laufklamotten mit dem Rad auf den Weg, um meinen Mann zu treffen. Wenn ich nach fast drei Stunden Laufen erstmal sitze, dann bleibe ich womöglich sitzen – so die Gefahr.
Ich freute mich darauf. Und war auch ein bisschen aufgeregt. Wir sind uns das letzte Mal vor fast zehn Monate begegnet.
Auf seine Frage hin, ob ich etwas trinken möchte, war ich zunächst unsicher. Er meinte in seiner unnachahmlichen Art: „Siehst aus, als wenn Du es nötig hättest.“ Willkommen zu Hause. 😉 😉
Ich trank – immer noch überglücklich – ein köstlich kaltes alkoholfreies Hefeweizen. Des Läufers Blut danach.
Was mich nun immer wieder am Marathon und dessen Vorbereitung fasziniert, sind die zu laufenden Distanzen. Zum Schluss laufe ich 42,195 km dann doch allein. Nur von meiner eigenen inneren mentalen Willensstärke begleitet. Immer wieder eine unglaubliche Herausforderung für mich persönlich.
Außerdem ist Erfolg immer erst hinterher. In der 121. Filmminute scheitert auch James Bond. Und so wird es sein, dass ich in diesem Jahr in der „120. Minute“ ins Ziel komme. Im Ziel angekommen macht Laufen einfach am meisten Spaß. Schmerz ist unvermeidlich, Leiden ist eine Option.
So spüre ich allerdings und trotzdem auch dieses Jahr wieder – nur noch 7 Wochen bis zum 42. BMW Berlin-Marathon – meinen Kampf gegen die stets lauernde Angst an diesem Tag zu „versagen“.
Michael Jordon hat mal gesagt: „In meiner Karriere habe ich über 9.000 Würfe verfehlt. Ich habe fast 300 Spiele verloren. Sechsundzwanzigmal wurde mir der spielentscheidende Wurf anvertraut, und ich habe ihn nicht getroffen. Ich habe immer und immer versagt in meinem Leben. Deshalb bin ich so erfolgreich.“
Nicht zu finishen ist keine Option. Die Zeit ist aber unwichtig.
What’s the secret? No secret. The key is – I trust me!
Alles ein wenig mit Humor sehend und mich selbst nicht mehr zu ernst nehmend!
Bewegt und dankbar!
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Hey Astrid,
toll gechrieben – schön, dass Du beim „Runden zählen“ nicht Deinen Humor verloren hast. Kommt wirklich gut rüber. Ich kenne viele Stadien von innen, bin dort unzählige Male dem runden Leder nachgejagt. Aber stundenlang Runde um Runde auf der Laufbahn – never ever. Da könnte auch die hübscheste Mitläuferin nichts dran ändern.
Im Übrigen ist es für uns Männer erheblich frustierender, von einer flotten Dame überholt zu werden. Mit 25 habe ich mir das nicht bieten lassen – Beine in die Hand und überholen :-). Heute bin ich älter und weiser und lass sie ziehen (zumindest, wenn sie deutlich jünger ist als ich). Ich werde jetzt auch meine Runde drehen – 1 Stunde, vielleicht 1,5 – aber schön im Wald und sicher mit einem Lächeln im Gesincht – dank Deinem Beitrag.
Lieben Gruß – Stefan
Lieber Stefan,
Danke für Dein Feedback. Das weiß ich ganz besonders zu schätzen. 🙂
Und wie schön, dass Du mit und durch mich schmunzeln konntest.
Sportliche Grüße in den Wald
Astrid
Hallo Astrid,
ich muß wirklich sagen, ein toller Blog!! Vieles aus deiner ambitionierten Sportlersicht teile ich zu 100%. Wobei sich bei mir weniger die Shades of Grey sichtweise beim Trainieren durchsetzt, das ist dann eben typisch Frau! Laufen tun wir ja beide recht gern, aber Marathonvorbereitung ist eben was anderes. Das sind dann die Auswirkungen bei Dir? Respekt und ich denke mal darüber nach wenn ich das nächste mal eine Laufmaus begegne. Vielleicht frag ich dann mal..!
Bis dahin eine gute Zeit!
LG Tom
… ich muss schmunzeln. Das ist schön. Ich freue mich von Dir zu lesen. Und bin gespannt auf Deine Frage … 😉 Ich freue mich sehr, dass Dir meine Gedanken und damit meine Beiträge gefallen.
Liebe Grüße und auf bald!!
Astrid