Das nachfolgend beschriebene Geschehen entspricht einer wahren Begebenheit des gestrigen Tages. Die daraus entstandenen Gedanken teile ich, ob sie jemand lesen will oder nicht. 😉
Im Moment schreibe ich unter dem Einfluss von sportlicher Sommerhitze. Es sind gefühlte 50 Grad in Berlin.
Mir ist immer dann erst warm, wenn meine Arme an der Schreibtischfläche kleben bleiben. Und wenn ich die Selbigen bewege, habe ich wieder das Gefühl, als würde mir meine Mutter mit einem klaren und bestimmten „Jetzt!!“ die Pflaster von meiner Haut ziehen.
Sowohl in Inhalt und Ausdruck entsprechen also wieder voll und ganz meiner momentanen Gefühls- und Lebenslage. Wer zufällig und versehentlich auf der Suche nach einem hochgeistigen Wort zum Sonntag Morgen hier gelandet ist, wird heute dringend zur Umkehr aufgefordert! Danke.
03.06.2015 – 5:00 Uhr. Der noch sehr junge Tag flötete: “Ooooomaaaa.“
Ich denke zurück: “Schnauze! Fresse halten! Hinlegen!” Aber weit gefehlt. Mein herzallerliebster Enkel kletterte von seinem Bett auf meine Matratze. Und schlief wieder ein. Gottseidank. Ich schlafe gern auf der Matratze zu seinen Füssen. Wirklich. Echt gern. 🙂
Ich muss allerdings noch zur Erklärung sagen, dass meine Tochter und der „Ich bin Dein Vater, Aron!“-Mann am Vorabend „aus“ waren. Sich die halbe Nacht um die Ohren geschlagen haben. Wie man das halt so mal macht.
6:00 Uhr: „Ooooomaaaa, aufstehen.“ hallt es in meinem Ohr. Der kleine Scheißer schlingt seine Arme um meinen Hals und bespricht mich eindringlich: „Aufsteeeeehen!!“.
Manchmal denke ich, mein Enkel hält mich für schwerhörig und altersdement, wenn er seinen Worten LAUT und mehrfach wiederholt Ausdruck verleiht. Aber ich bin noch nicht schwerhörig und altersdement. Auch wenn ich schon Großmutter bin. Und morgens 6:00 Uhr – nach einem sehr langen arbeitsreichen Abend – bin ich auch mal sehr gern schwerhörig. Also stehe ich mit ihm auf. Nehme in auf meinen Arm und gehe ins Bad. Folgender Dialog lässt mich blitzartig wach werden:
Er: „Oma, warum hast Du so kleine Brüste?“
Ich denke: „Krass, er hat es gesehen …!“
Er: „Kann ich mal sehen?“
Ich: „Ja, die sind halt nicht größer.“
Er: „Waaaruuuummm?“
Ich: „Es gibt Frauen, die größere Brüste haben und Frauen die kleinere Brüste haben.“
Er: „Waaaruuummm?“
Ich denke: „ Wie kann ich ihm DIESES Wort nur verbieten?“
Ich: „Es gibt auch größere und kleinere Menschen.“
Er: „Mama hat aber größere Brüste.“
Ich: „Mama bekommt ja auch noch ein Baby. Da werden die Brüste größer.“
Er: „ Waaaruuummm?“
… ok! An dieser Stelle breche ich ab. 😉
Nun, was würde Jesper Juul raten? Vielleicht würde er sagen, man sollte die Kinderimmer auf dem Entwicklungsstand abholen, auf dem sie sich befinden. Darüber nachzudenken, war mir allerdings so früh zu anstrengend.
Seit gestern sehe ich nun in meinen Tagträumen George Clooney in „Emergency Room“ mit wehendem Kittel auf mich zueilen, das Wort über mich in den Raum gerichtet: “Und, was haben wir hier?” “Sechsundvierzigjährige mit fortgeschrittener Faltenbildung, depigmentiertem Haar und erschlafftem Bindegewebe!”. “Hoffnungslos. Lassen Sie uns wenigstens die spätpostpartale Beckenblockade behandeln und dann kommt sie in ein Seniorenpflegeheim.”
Älter werden war ja noch nie schwierig, es passiert einfach. Schwierig ist, zu entscheiden wie man älter werden will. Wie ich älter werden will.
Ich war in der Vergangenheit schon mal älter, „vernünftiger“. Mehr, wie „man“ es von mir vielleicht erwartet hat. Ich trug teure Blusen und Kostüme, schicke Schuhe und edle Hosenanzüge. Hatte tolle Jobs, die Ansehen und Geld versprachen. Das Konzept war dieser Zeit würdig, aber ich mochte mich irgendwann so nicht mehr.
Ob ich mich zurück zu einer Neunzehnjährigen degenerieren will? Das kann ich verneinen. Ich will aber auch nicht akzeptieren, dass ich fett (nicht mehr), langweilig und gesetzt werden soll, weil ich älter bin.
Als junge Oma rechne ich mir manchmal vor, wie alt ich sein werde, wenn mein Enkel 7, 10 oder 20 ist. Ich will ihn beim Wachsen begleiten können. Ich möchte immer am Geist der Zeit teilnehmen – an seinem Leben teilhaben dürfen. Ob Schuleinführung oder Fifa 23, ich möchte viel mit ihm tun. Wenn ich denke, dass er daran Spaß hat und ich ihm viele Freuden machen kann, wir beide eine gute Zeit zusammen haben.
Auch das heißt meinem Enkel eine tolle Oma zu sein. Zumindest empfinde ich das so.
Gott sei Dank bin ich mit einer recht robusten Gesundheit und der Begeisterungsfähigkeit einer Adoleszenten gesegnet. Meine Tochter kann davon sicher mehrere Lieder singen. Gepaart mit relativ geistiger Unabhängigkeit kann ich meine Lust auf das Leben ebenso stillen, wie meinen Spaß an den Dingen, die mich bewegen. Irgendwo zwischen Pflicht und Spaß, Schweiß und Preis, Zerstreuung und Verantwortung möchte ich meinem Enkel ein Beispiel sein. Möchte ich ihm Mut machen, sich selbst zu vertrauen. Ihm Vorbild sein. Das wäre großartig.
Ich trage gerne Jogginghosen mit weißen Blusen. Ich mag Totenköpfe auf Oberteilen und Statement Shirts. Und ich liebe meine Beanies, wie all die jungen Nerds auch. Warum mache ich das? Ich mache das, weil ich es kann, weil ich mich hier und heute genau so und danach fühle.
Und ich bin stolz auf meine Tattoos.
In diesem Sinne: Hoch die Tassen! Auf eine lustige Zeit des Älter Werdens. Nicht umsonst wachsen uns im Alter Sonnenstrahlen um die Augen. Socken stopfen wir später.
Geriatrische und vor allem rebellische Grüße mit „Heizkissen“ und Rollator!
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Liebe Astrid,
es macht einfach Spaß, Deine Zeilen zu lesen, weil Du über die wirklich seltene Fähigkeit verfügst, sehr tiefgehenden Emotionen verbal Ausdruck zu verleihen. Bei anderen klingt so etwas oft „psychologiesierend“ oder „pragraphenbasiert“. Bei Dir fühle ich die Liebe zu Deinem(n) Enkel(n) förmlich mit – das ist sehr schön.
Zum Thema Altern: “Sechsundvierzigjährige mit fortgeschrittener Faltenbildung, depigmentiertem Haar und erschlafftem Bindegewebe!”. Ich darf Dich wirklich beruhigen – ich kenne andere 46-jährige. Daher sage ich zu Dir: Chapeau!
Zudem ist mir jedes Fältchen, das ein Stück Lebensgeschichte schreibt 1000-mal lieber als ein mimikloses, aufgespritztes Kunstantlitz.
Meine Meinung zu Tattoos – ästhetisch wie medizinisch – kennst Du ja. Wäre ja auch langweilig, wenn es gar keine Reibungspunkte gäbe :-).
GlG-Stefan
Liebe Astrid,
Ich LIEBE deinen Schreibstil!!!! 🙂 Du schreibst echt so toll und man merkt das bist EINFACH DU….kein „Ach wie sollte ich das jetzt schreiben“ oder „Na da nehme ich lieber ein anderes wort“ 🙂 So toll!!!! *like*
Und besonders lächeln musste ich bei der Brüste-Unterhaltung, weil ich neulich eine ähnliche Unterhaltung mit meiner Tochter hatte.
Sie „Mama, wann kriege ich Brüste.“
Ich „Oh das dauert noch etwas…einige Jahre.“
und sie „Okay, aber hoffentlich kriege ich so schöne Brüste wie du….“ PAUSE ….“aber Mama…bei uns in der Schule da gibt es in der 4. Klasse schon ein Mädchen was mehr Brüste hat als du!“
Oh Gott…Kinder sind so gnadenlos ehrlich…haha….und ich so „Naja das ist auch nicht schwer mehr Brust zu haben als ich“ *lach*
Sie betonte dann nochmal das sie wirklich gerne so schöne Brüste haben möchte wie ich, aber das die ruhig etwas größer werden dürfen als meine 😉
In dem Sinne! Ein herrlichen Tag und herrliches WE dir Astrid <3
Jen
Liebe Jen,
ich muss lachen, wenn ich Deine Zeilen lese. SOOOOO schön. 🙂
Und ich bin so happy, dass Dir meine Zeilen gefallen. Bei gutem Wind 😉 ist morgen Abend der nächste Beitrag online.
Ich wünsche Dir noch ein wunderschönes Wochenende und wieder bis sehr bald auf allen Kanälen. 🙂
<3 <3 <3