… FINISHED – Bis zum Äußersten und im Rausch der Erschöpfung!
Mein überwältigendster Sieg. Über mich. Und über mich hinaus. Unter extremen Bedingungen lief ich diesen 42. BMW Berlin-Marathon am letzten Sonntag ins Ziel. Es war ein Wettkampf zwischen meinem Willen und meinen Möglichkeiten. Wäre doch gelacht, wenn mein unbeugsamer Wille …
… nicht gewonnen hätte. In 05:32:19 Stunden. 😉
Ja, ich habe davon gehört, das es Läufer geben soll, die trotz kaputter Schuhe für diese 42,195 km an diesem Tag persönliche Bestzeit in 02:04:00 Stunden gelaufen sind. 😉 Gut. Ich bin nicht gebürtiger Kenianer und heiße auch nicht Eliud Kipchoge.
Es war morgens „schweinekalt“ und ich erlebte wieder dieses so besondere Gefühl mit all den anderen 40.000 Läufern auf den Startschuss zu warten. Danke Randolf, für Deinen Humor und das Du mit mir warst.
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Bis zur Hälfte (21,095 km!!) lief es gut. Ich schaffte es sogar zwischendurch Fotos zu machen. Auch wenn ich jedesmal wieder aus meinem Rhythmus kam.
Bei Kilometer 30 stellte sich mein Körper um – sofort und ohne Vorwarnung – halleluja Fettverbrennung, lüstern habe ich darauf gewartet, das Serotonin wird steigen, das Glückshormon – komm Serotonin, mach, bitte mach. Ich begrüßte die Schmerzen, die Müdigkeit, das Zerren in dem allen, was sich meine Beine nennt. Ich wundere mich immer wieder, mein Körper ist so fabelhaft, was er alles kann – nur manchmal ist er halt störrisch. Und ich muss nicht mehr „allein“ laufen. „Der Mann mit dem Hammer“ ist nun mein Begleiter. Wie schön 😐 …
Kilometer 32: Ich weiß nicht mehr weiter. Aber das stimmt nicht, es sitzt ja alles im Kopf. Hämmere ich mir ein. Nein, denke ich, es hört nicht auf. Ich genieße den Schmerz nicht, ich will ihn beherrschen. Er ist eine Herausforderung. Ich kann die Kurve zum Kurfürstendamm schon förmlich fühlen. Riechen. Das schaffe ich.
Ich schaltete auf Autopilot. Wie?? Ich weiß es nicht mehr.
Mein Schmerz war nun mein engster Vertrauter.
Ab Kilometer 35 (noch 7 km!!) wurde ich immer leerer, indem ich ganz bewusst Teile meiner intensiven letzten Zeit – revolutionäre 18 Monate für mich – Schritt für Schritt aus mir herauslief, oh ja.
Kurz vor Kilometer 36 erlebte ich sehr aufmerksam einen sehr emotionalen Ort (Kleiststraße Ecke Keithstraße – in Sichtweite das KaDeWe). Ich bin dankbar, diesem einen Menschen begegnet zu sein, der mir gezeigt hat, wie Liebe sich anfühlt. Der mein Leben so sehr verändert hat und mich bewegt. Immer und immer wieder. Wie schön. Meistens jedenfalls. Danke, dass es Dich gibt.
Und da gab es auch das Wieder-Voll-Werden. Es ruckelten sich kreative Partikel neu zusammen. So kamen mir Sachen in den Kopf, auf die ich sonst nie gekommen wäre – beides Totalerfahrungen. Für mich.
Ich stopfte mich mit matschigen Bananen voll. Und dann erlebte ich einen Durchbruch. So fühlte es sich an. Es war, als wäre ich durch eine Mauer gelaufen. Plötzlich merkte ich, dass ich auf der anderen Seite war. Ich war überzeugt, durch etwas hindurchgekommen zu sein. Ich wusste genau, es geschafft zu haben. Das könnten allerdings auch diese glitschigen Bananen gewesen sein. Wann sich genau dieses Gefühl einstellte, weiß ich nicht mehr genau.
Mein Glück danach war auf jeden Fall so viel größer, als wenn ich die ganze Zeit in der Wohlfühlzone geblieben wäre.
Okay, dann hätte mich sicherlich auch der „Besenwagen“ mitgenommen. Mitnehmen müssen …
Irgendwo habe ich mal gelesen, dass der Schmerz ein Signal des Körpers ist: STOPP!! Doch ich lief weiter … Es gehörte für mich dazu, den Schmerz kleinzulaufen. Nur so konnte ich diesen Marathon überhaupt bestehen.
Kilometer 40,5: Gendarmenmarkt. Wundervoll. Das Ziel ist in greifbarer Nähe. Ich hatte meine tiefe körperliche Erschöpfung vollständig akzeptiert. Und so war ich in der Lage, standhaft weiter zu laufen. Für mich gab es nichts mehr auf der Welt, dass ich mir noch wünschte.
Jede meiner selbstgestellten Aufgaben hat mindestens 2 Motive … ein offensichtliches und ein verborgenes.
Dass dieser Marathon einige mehr hatte, das ahnte ich schon länger. Dass aber auch all die nichtgelaufenen Trainingsläufe so zu betrachten sind, ist für mich ein neu wahrzunehmender Gedanke: (Danke Sabine – für alles! <3)
Ein „leichterer“ Lauf hätte mich nicht so an meine Grenzen und weit darüber hinaus gebracht.
Ein „trainierterer“ Lauf hätte eine so intensive, klärende Begegnung mit mir und meinen inneren Dämonen – die mir manchmal ganz schön auf Ketten gehen – verhindert. Eigentlich trainiert man ja auch nur, damit man auch die letzten Kilometer eines Marathons noch bei wachem Verstand erlebt.
Und so war meine „Faulheit“ möglicherweise gar keine Faulheit, sondern die bestmögliche Vorbereitung auf diesen so besonderen Marathon …
Nur dadurch konnte all das möglich werden.
Ich vertraue meinem Unterbewusstsein inzwischen fast blind. Fast.
Mein Perfektionsstreben, mein Streben nach eigener „Meisterschaft“ mit meinem hohen persönlichen Anspruch an mich selbst haben mir dabei geholfen, diesen so entscheidenden Marathon zu finishen. Gesund zu finishen. Okay, fast gesund – wenn ich von meinem blutigen Zeh und dem wahrscheinlichen Verlust eines Zehnagels mal absehe. Dafür ist Perfektionsstreben auch einfach mal gut. Sehr gut sogar.
Keine Therapie kann mehr Selbstwirksamkeit entstehen lassen, als einen Marathon oder ähnliches zu finishen. So empfinde ich.
Das Gefühl UND das Wissen, dass ich ALLES kann, wenn ich es nur wirklich will, ist unbezahlbar. Es bereitet mir in lösbare Schwierigkeiten, meine Ziele zu verwirklichen. In unerwarteten Situationen, weiß ich, dass ich neue Wege finden kann. Schwierigkeiten, Herausforderungen und Problemen – wie auch immer ich das ewig gleiche nennen will – sehe ich gelassener entgegen, weil ich mir selbst vertrauen kann. Wenn etwas Unerwartetes in meinem Leben auftritt, kann ich mich auf meine Fähigkeiten verlassen. Es ist in meiner Macht, das zu erreichen, wozu ich vorher kaum glaubte, es zu können. Ich vertraue mir. Mental bin ich über mich hinaus gewachsen. Und nicht zuletzt hat mich gerade dieser Marathon – in einer besonderen Situation in meinem Leben – dazu gebracht andere “Bücher“ zu schreiben.
Was für ein Erlebnis, dass ich genau das fühlen darf. Mir selbst zu vertrauen. Ja, auch Dank und trotz meines „leichten“ Perfektionsstrebens. Das fühlt sich für mich sehr gesund an.
Vom 19.10. bis 01.11. läuft die Registrierung für den 43. BMW Berlin-Marathon. Ob ich zu meinem 6. Marathon aufbreche? Bis zum 01.11. habe ich Zeit zu einem Entschluss zu kommen. Und so denke ich an die letzten Meter. Und kann es immer noch kaum glauben. Kaum atmen. Was für ein überwältigendes und tränenreiches Gefühl das Brandenburger Tor zu sehen (fast Kilometer 42) und gleich über diese Ziellinie – 42,195 km liegen hinter mir – laufen zu dürfen. Noch 100 m …
Dafür – und für so vieles mehr – hat sich alles gelohnt.
Bis zum Äußersten zu gehen und im Rausch der Erschöpfung förmlich zu schweben.
Jeder Mensch, postulierte ein Psychologe bereits in den 1960er-Jahren, brauche ein gewisses Maß an Erregung, um sich wohl zu fühlen – mancher mehr, mancher weniger.
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Ich empfand Freude und Erleichterung, das ich die Kraft gehabt hatte, durchzuhalten. Eine unglaubliche Stille durchwehte als transparante Brise meinen Körper.
Mir war als hätte sich ein fester Knoten in mir langsam gelöst. Ein Knoten, den ich bis dahin nicht einmal bemerkt hatte.
Berlin-Marathon, ich liebe Dich. Und Du siehst mich wohl wieder. 🙂
In Liebe und Dankbarkeit! #together42
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Liebe Astrid,
ich bin berührt von deinem Artikel – mal wieder. Und das obwohl ich überhaupt kein Marathon-Fan bin (und es wohl auch nie sein werde). Dennoch konnte ich deine Gefühle quasi „miterleben“ und verstehe im Grunde auch oder sagen wir besser ich ERAHNE es das es ein wundervolles Gefühl sein muss so etwas zu schaffen! Es ist eine grandiose Leistung! Körperlich und psychisch! Wie die Psyche läuft mit? 😉 😉 😉
Ich gratuliere ganz herzlich zu deinem (wow bereits 5.) Marathon! Und drücke dich fest! Jen
Vielen vielen Dank!
Ich glaube, mich selbst besiegt zu habe – das ist es! 🙂 <3
Ja ich verstehe was du meinst Astrid, mit dem „selbst besiegen“ 🙂
Drück dich, Jen
Hey Astrid, herzlichen Glückwunsch, ich bin am morgen zufällig einen Teil der Strecke mit dem Rad gefahren und muss sagen, Gänsehaut Atmosphäre. Toller Artikel, Du hast eine wunderbare Art zu schreiben und super Laufleistung – Hut ab!!! LG Sandra
Liebe Sandra,
ich freue mich, dass es Dir gefällt. Und ja, schon allein als Zuschauer diese Stimmung aufnehmen zu können ist sehr besonders. Ich bin auch immer noch sehr in diesem STOLZ SEIN. Das ist ein tolles Gefühl. Vielleicht nennt man genau das, das „Runners High“. Vielleicht.
Liebe Grüße
Astrid